Erfahrungsbericht einer Erstteilnehmerin am WE Turnier

Noch vor einem Jahr hätte ich im Brustton der Überzeugung gesagt, dass ich mir eher Daumenschrauben anlegen lassen würde als an einem Dressurturnier teilzunehmen. Ich nehme zwar Dressurstunden und reite mein Pferd regelmässig dressurmässig, aber nur aus der Überzeugung heraus, dass das wichtig für die Gymnastizierung ist. Dressur war für mich nie etwas, was ich im Wettkampf mit anderen und gar vor einem Richtertisch hätte tun wollen.

Zur Working Equitation fand ich, weil mir die Youtube-Videos vom Speed Trail so unglaublich viel Spass machten und mein Pferd und ich ohnehin alles lieben, was mit Rinderarbeit zu tun hat. Dann begann ich auch an den Dressurprogrammen der Working Equitation Gefallen zu finden; allein die Tatsache, dass nicht in weissen Hosen und im Frack geritten wurde sagte mir zu, und diese Form der Dressur wurde mehr und mehr zu etwas, was nicht mehr ganz am anderen Ende meiner reiterlichen Selbstwahrnehmung stand.

Als in der Schweiz der Arsets ins Leben gerufen wurde, war ich schnell dabei - im ersten Moment nur, um mir als Mitglied einen Platz an einem der Rinderkurse zu sichern. Und da ich nun schon mal Mitglied war, erschien mir mit einem Mal die Teilnahme an einem Turnier gar nicht mehr so abwegig. Was konnte mir Schlimmeres passieren, als Letzte zu werden? Irgend jemand muss immer Letzter sein! So zögerte ich nicht lange, als die Ausschreibung fürs Turnier in Birmensdorf kam, mich anzumelden. Natürlich "nur" im E - das schon war für eine eiserne Freizeitreiterin und selbsternannte Dressur-Null wie mich ein riesen Wagnis. Sicherheitshalber meldete ich mich gleich für den letzten Rang an - damit das OK bereits wusste, dass sie diesen Rang mit Sicherheit würden besetzen können.

Von dem Moment an, da ich mich angemeldet hatte, stieg meine Aufregung Tag für Tag: Noch nie hatte ich an einer Veranstaltung teilgenommen, für die ich vorab ein Programm auswendig lernen musste! Als ich das erste Mal das Programm für die E-Dressur las, war ich überzeugt, mir diese Figurenabfolge nie merken zu können, geschweige denn nachreiten. Immer und immer wieder malte ich die Figuren mit dem Finger auf einem ausgedruckten Rechteck mit den Bahnpunkten nach. Abend für Abend ritt ich mit einem Zettel bewaffnet Teile des Programms in verschiedenen Kombinantionen und Gangarten. Auf keinen Fall wollte ich, dass mein Pferd das Programm vor mir auswendig konnte! Und plötzlich war es da - ich konnte das Programm nahezu im Schlaf hersagen, und noch viel wichtiger: Ich konnte es an einem Stück nachreiten.
Dazu, Trail zu trainieren, kam ich vor lauter Aufregung und Konzentration auf das Dressurprogramm gar nicht mehr. Ich verliess mich dank unserer reichhaltigen Gymkhana- und Patrouillenritt-Erfahrung grösstenteils darauf, dass mein Pferd schon über die Brücke gehen würde.

Zu meiner überaus grossen Erleichterung startete das Turnier erst am Nachmittag. Am Turniertag um 4 Uhr aufstehen, um ein gelb-grün-braun geflecktes Etwas in sowas Ähnliches wie einen Schimmel zu verwandeln, möglichst noch mit geflochtener Mähne - das hätte am ersten Turnier wirklich nicht auch noch sein müssen. So konnte ich in aller Gelassenheit den Vormittag mit duschen, blau einschampoonieren, auswaschen, nochmals blau einschampoonieren, auswaschen, trocknen, flechten verbringen und viele Stunden zu früh in Birmensdorf ankommen. Zwischen betont gelassen übers Gelände schlendern und aktiv durchatmen, ein bisschen beim Dressurprogramm der Barockpferdetage zuschauen, nochmal übers Pferd bürsten, anmelden, satteln und auf einem gefühlt endlos weiten Platz, weitläufiger als alles, was ich von zu Hause kenne, abreiten wurde die Zeit dann aber doch irgendwie knapp. Viel zu früh (oder war es doch eher endlich? Ich wusste nicht, wie ich es
wirklich fand) wurde mein Name aufgerufen und ich ritt in die Halle ein. Ich hatte keinerlei Vorstellung, wie lange es wohl so dauern würde, bis die Richterin die Glocke läutete. Wahrscheinlich nahm ich mir nicht genügend Zeit, mein Pferd - eine 14-jährige Berber-Mix-Stute, die auch noch nie in ihrem Leben eine Dressurprüfung gegangen war - und mich ausreichend vorzubereiten. Wenigstens an den Spiegeln ritten wir noch mal vorbei, damit uns daraus nicht plötzlich ein unbekanntes weisses Pferd anspringen würde.

Als die Glocke ertönte, startete ich fast umgehend mein Programm. Je schneller ich anfing, desto schneller würde ich es hinter mir haben, dachte ich mir. Irgendwann war es dann auch zu Ende, auch wenn es mir später nicht gelang, mich an Einzelteile zu erinnern. Ich kann keine groben Programmfehler gemacht haben, jedenfalls stand nichts davon auf dem Bewertungsbogen. Aber schon beim Verlassen der Halle war ich mir nicht mehr sicher, ob ich alles ausgeführt hatte. Hatte ich die Trabvolte bei C gemacht? Die vier Schritte rückwärts? Wenn ich überhaupt rückwärts gegangen war, waren es vier Schritte gewesen oder vielleicht nur zwei oder auch zehn? Ich traute mir durchaus zu, mittendrin einen Aussetzer gehabt zu haben und unbewusst meterweise rückwärts gegangen zu sein. Mir war, als hätte ich das ganze Programm in einem undeutlichen Nebel absolviert. Aber auch egal - das "Schlimmste" war überstanden, jetzt kam noch der Teil, auf den ich mich
freute: der Trail, denn Tor öffnen, Glocke läuten, Becher umsetzen und sowas können wir zwar auch nicht in vollendeter Schönheit, aber wir machen's gern.

Als es ans Abreiten für den Trail, der auf dem Aussenplatz stattfinden würde, ging, war dankbarerweise in der Halle ein Cavaletti aufgestellt, über das ich noch ein paar Motivationssprünge nahm. Eigentlich habe ich Angst vor dem Springen, und sei es nur über ein Cavaletti, aber die Hüpferchen in der Halle gelangen gut, und damit war meine zweite grosse Sorge dieses Tages aus dem Weg geräumt. Es wunderte mich nicht, dass ich im Trail als Letzte startete - nach der abgelieferten Dressurleistung konnte ich nur Letzte sein. Aber jetzt begann der Spass für uns: einen grossen Platz zur Verfügung haben, auf dem man von Hindernis zu Hindernis galoppieren konnte - zu Hause unmöglich. Uns mal wieder an einem richtigen Tor versuchen, nicht nur die Behelfsvariante mit Strick. Eine ordentliche Brücke, über die ich vor lauter Schwung am liebsten drübergaloppiert wäre, aber das darf man ja erst später im L.

Meine Stute, die gerne mal bodenscheu ist und sich auch problemlos in Form einer Banane seitwärts hüpfen kann, wenn ihr ein Hindernis unheimlich ist, linste nur ab und an scheu in eine komische Ecke, lief aber immer brav weiter. Beim Sprung übers Cavaletti kümmerte sie sich rührend um mich, indem sie erst mal ordentlich abbremste und dann vorsichtig drüberstolperte. Sie machte mir eine riesen Freude, als sie trotz all der Aufregung des Tages und ihrer hypernervösen Fracht aus dem Galopp ruhig zwischen den Stangen stehen blieb und mich den Becher umsetzen liess. Als wir im Galopp durchs Ziel ritten und zum Abschied grüssten, konnte ich wieder lachen - unser erstes "richtiges" Turnier, und wir hatten nicht nur überlebt, sondern waren noch nicht mal disqualifiziert worden.

Mein Tagesziel erreichte ich: Wir kamen auf den letzten Rang und bekamen - ich war ganz beeindruckt - sogar für diesen noch einen Gutschein über 30 SFr. Am Ende des Tages war ich zwar keine bessere Reiterin, aber wir können eine Erfahrung mehr auf unserem Vielseitigskeitskonto verbuchen und wissen jetzt ganz genau, woran wir arbeiten müssen. Ich hoffe, ich spreche auch im Namen meines Pferdes, wenn ich sage, dass wir nächstes Jahr mit Sicherheit wieder dabei sein werden. Dann hoffentlich mit besseren Nerven und einem Winter handfesten Trainings im Gepäck.

Wiebke Schmidt-Reyer
und Sizi Shazadi